Die konkrete Poesie der Körper

Die Skulpturen des Berliner Künstlers Christoph Kopac gehen aus von der materiellen Beschaffenheit des Körpers, seiner haptischen Form, der sich das Auge des Betrachters, gleich einer tastenden Hand, hingibt. Das Sehen vollzieht so den Schöpfungsprozess des Künstlers nach.

In seiner Mechanikerausbildung bei Porsche in Zuffenhausen eignete er sich modernste Werktechniken an, die direkt aus der Automobiltechnologie stammen. Die dem lebendigen Körper so abgenommene Form konserviert dabei die Spannkraft des natürlichen Körpers, hebt ihn aber aus der alltäglichen Erfahrungswirklichkeit heraus und stellt ihn allererst dar. So exponiert kann ihn das Auge im Nachvollzug der plastischen Schöpfung sinnlich erfahren. Dabei übersetzt die Einbildungskraft des Betrachters die haptische Erfahrung der tastenden Hand in einen tastenden Blick, der sich aus der Distanz in die Form des Körpers einfühlt und dessen sinnliche Form als ästhetische Vorstellung erfahrbar macht.

Der Körper gewinnt damit volle sinnliche Präsenz und wird als Gegenstand im Wort Sinne, d.h., als dem Bewusstsein des Betrachters entgegenstehender Körper erfahrbar, der sich dem Zugang entzieht, wenn sich der Betrachter ihm nicht einfühlend hingibt, der diese Hingabe aber durch den sinnlichen Reiz seiner plastischen Form provoziert. Im erotisierenden Wechselspiel von sinnlichem Reiz und einfühlender Betrachtung wird die Plastik animiert und in der Vorstellung lebendig, ohne dass jedoch die sinnliche Erfahrung, entgegen der alltäglichen, getrübt wird. Das erotische Wechselspiel zwischen Plastik und Betrachter ereignet sich im reinen Raum der ästhetischen Anschauung und in der Distanz, die entsteht, weil das Auge die tastende Hand und die Vorstellungen der Einbildungskraft den haptischen Reiz ersetzen.

Kopacs Kohlezeichnungen arbeiten ähnlich. Obzwar auf die Augenlust beschränkt, lösen sie Form und Kontur des Bildinhaltes in Pixel auf, die in der Einbildungskraft des Betrachters erst wieder zusammengesetzt werden müssen, so dass der bei der Plastik medial vorgegebene Nachvollzug der Formgebung durch eine besondere Zeichenweise substituiert wird. Die Kohlezeichnung, eine der ältesten Kulturtechniken, erhält dabei Anschluss an die technische Gegenwart, wie auch Kopacs Formverfahren die traditionelle Technik durch moderne Verfahren ersetzt.

In der Distanz der ästhetischen Erfahrung kann der Körper nicht nur als reine sinnliche Anschauung begriffen werden, er kann auch über sich hinaus weisen auf, bei Kopac meist mythische, Formen, die anders nicht an ihm erkannt werden können. Hat sich im wechselseitig animierenden Prozess der einfühlenden Betrachtung eine erotische Beziehung zwischen Betrachter und Figur entwickelt, erhält der Betrachter durch die mythischen Urformen, auf die die Figur verweist, Anschluss an ihre Inhalte. So entsteht beispielsweise bei den Nixen die ungewöhnliche Kopula vom erotischen Wechselspiel zwischen Figur und Betrachter einerseits, reiner und unschuldiger, in ihrer Unberührtheit nahezu sakrosankter Weiblichkeit andererseits.

Dabei sind zwei Konsequenzen zu unterscheiden, gleichwohl sie einander wechselseitig bedingen. Zum einen verweist die bezeichnete Kopula in der Distanz der ästhetischen Erfahrung, in der sie entsteht, auf ihre Distanz zum Betrachter, der dieses Außergewöhnliche nicht mit seiner alltäglichen Erfahrungswirklichkeit zur Deckung bringen kann; sinnliche Animation bei gleichzeitig sakrosankter Unberührtheit erscheint als mythische Urform des Weiblichen, die verloren ist und entrückt vom Betrachter, erfahrbar nur noch in der ästhetischen Anschauung. Die ihr zugrunde liegende Distanz macht damit den kulturellen Abstand deutlich, der die Welt des Betrachters von der mythischen Welt trennt, so dass die Differenz zwischen beiden nicht überwunden, sondern eingeübt wird.

Zum anderen verfügt diese Differenz jedoch über utopisches Potenzial, das entsteht aus dem Kontrast zwischen der Erfahrungswirklichkeit des Betrachters und der im Kunstwerk antizipierten Welt. Die hier statthabende Vereinigung des scheinbar widersprüchlichen wird zumindest in der Möglichkeitsform vorgestellt und die erotische Spannung zwischen dem Kunstwerk und seinem Betrachter zieht ihn zu dieser möglichen anderen Welt am Nicht-Ort der ästhetischen Anschauung hinüber – noch bevor er sie diskursiv erfasst. Damit rückt der Betrachter gleichsam aus seiner Alltagserfahrung heraus und gewinnt auf sie eine neue Perspektive, in der er ihr die schöne Welt der Kunst als Korrektiv entgegenhalten kann.

Björn Vedder, Universität Bielefeld